Eine Riester-Rente des normalen Geschmacks.

Von

Extremboutique Nagy:
Die guten Atmosphären

Erstens (Überbau):
In den letzten Jahren entwickelte sich in vielen geisteswissenschaftlichen Disziplinen die Erforschung und Diskussion von „Atmosphären“, verstanden als die emotionale Wahrnehmung sinnlicher Ereignisse und Ereignisräume. PhilosophInnen, KulturtheoretikerInnen, KommunikationswissenschaftlerInnen, ArchitektInnen, Stadt- und RaumplanerInnen, KünstlerInnen, AusstellungsmacherInn und viele mehr haben wichtige Beiträge zu diesem Diskurs geliefert. monochrom hat diese Stimmen gesammelt, gesichtet, ausgewertet, durcheinandergewürfelt und die Ernte zu einer abendfüllenden Powerpointoperette fusioniert, die zwingend um 20:15 zu beginnen hat: Das Ergebnis ist ein 90-minütiges Restessen aus Powerpointeinspielungen, Livemusik (und wir meinen: Livemusik!), Installation, Klangwolke, Medienkritik (incl. Kritik-der-Medienkritik und deren Kritik), Bildungsroman, Gala, Archäologie, Diskurskritik (incl. Kritik-der-Diskurskritik und deren Kritik) und ordentlich Schmerz bzw. Schmelz. Simultan-Phänomenologie, Geschwür und ein Ballett der Ränder. Die geradebrechte Geballtheit ist indes nur ein stummer Schrei nach Liebe zum Detail.

 

Zweitens (Handlung):
Der outgeplacte Textilbranchler Boom Springfield, gestresst von Alltag, Wohnsituation und Captain Abramowitsch erfährt durch seinen Freund Josh D. Stangassinger aus der IT-Branche von der Extremboutique Nagy, wo es eine hervorragende Atmosphäre geben soll. Die Suche nach besagtem Etablissement gestaltet sich jedoch schwierig. Die „Wächterinnen der guten Atmosphäre“ tauchen beharrlich auf und geben ihm in verklausalierten Coachings zu Denken. Immer ist Boom innerlich für den Eintritt in die Boutique noch nicht bereit. Er muss noch lernen, reflektieren, spüren, optimieren, Allianzen knüpfen, verschlanken, downloaden, selbsterfahren und den interpersonellen Relaunch wagen, was auch bedeutet, das er seinem Umfeld (eigentlich nur Josh D. Stangassinger aus der IT-Branche) auf der Tasche liegt.
Über die Jahre versucht er seine Softskills in den Bereichen Kommunikation, Mystik, Philosophie, Psychologie, feministische Literaturwissenschaft und Kulturkritik etc. zu entwickeln, so zu stählen. Kurz seinen Atmo-Bachelor zu machen. Die „Gralssuche“ nach der guten Atmosphäre gerät zum schleppenden Irrlauf durch die verschlungenen Plateaus von Wissenschaft, Medialität und Alltag. Was die Boutique genau ist, ob der Protagonist schließlich erfolgreich ist, ob das Projekt scheitert... – wird man/frau ja sehen. Denn das letzte der acht Kapitel spielt jeweils im „Hier und Jetzt“ der aktuellen Situation bzw. „Aura“ (Walter Benjamin), kurz: in der konkreten Aufführungsatmosphäre.
Lassen Sie sich entzaubern von Methode mit Wahnsinn und Posthumanität mit menschlichem Antlitz.