ALTERNATIVE WÄHRUNG?

Der Geschmack des Geldes

Was meinen wir, wenn wir vom "Geschmack des Geldes" sprechen? Geld sei neutral, so sagen viele, eine Abstraktion, mit der sich unsere Wünsche und Sehnsüchte zum Ausdruck bringen lassen. Aber stimmt das? Zumindest für den " ökonomischen" Bereich? Dieser Text argumentiert gegen diesen grob vereinfachenden Standpunkt und präsentiert ein Experiment, das wir zusammen mit der kreativen Community hier in Wien starten. Dieses Experiment beschäftigt sich mit Währungssystemen, die in ihrer Verwendung eine neue Sicht der Dinge und ein anderes Verhalten -- im Vergleich zur uns vertrauten Geldwährung -- auslösen sollen. Unser Ziel ist es, andere "Werte" zu erfassen.

Die meisten Menschen glauben, dass es nur eine Art von Geld gibt. Die Ökonomie ist die Lehre dieses alleinigen und monolithischen Währungssystems und der Versuch, eine Alternative zu schaffen, wird gemeinhin als sinnlos angesehen. Die kurzgreifenden Argumente für diese Ein-Geldsystem-Hypothese sind zwar schwach, könnten aber leider auf längere Sicht noch an Dominanz gewinnen.

Viele Ideologien, viele Organisationen, die sich anschicken, etwas zu verändern, tendieren dazu, die althergebrachten Strukturen und organisatorischen Methoden zu übernehmen. Sie verknöchern indem sie eben jene Strukturen, die zu verändern sie sich zum Ziel gesetzt haben, reproduzieren. Um unser neues System langfristig vor dieser Verknöcherung zu bewahren, ist es unumgänglich, neue organisatorische Wege zu beschreiten, neue Möglichkeiten zu suchen, Ressourcen und Fähigkeiten zu teilen, und eine andere Art, Entscheidungen zu treffen, zu entwickeln.

Warum sind Währungssysteme in diesem Zusammenhang interessant? Weil sie einfach sind und weil die Geldform, die wir im Handel, bei der Arbeit und im sozialen Zusammenleben verwenden, immer noch mächtiger und mächtiger wird. Geld ist nicht neutral. Unser Finanzsystem hat seine eigenen "emergenten Eigenschaften" – es beeinflusst uns und ist nicht einfach nur ein passives Vehikel für die gesamte Reichhaltigkeit der menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten.

Geld wird auch "the frozen desire" – das gefrorene Verlangen – genannt. Es ist ein effizientes und weit entwickeltes Informationssystem für die Schaffung materiellen Reichtums. Es macht wenig Sinn, dieses System mit einem "komplementären" System neu zu erfinden, außer man konzentriert sich ganz klar auf die Werte, die man damit erfassen möchte.

Unser Projekt zielt darauf ab, neue Arten von "Geld" zu erschaffen. Jeton-Systeme, Spiele und Experimente, anhand derer wir erkennen können, dass ein anderes "Spiel" möglich ist. Wir entwerfen Regeln, die darauf abzielen, neue emergente Verhaltensformen hervorzurufen, und dennoch das flexible, basisorientierte Potential eines Währungssystems beizubehalten.

Das Thema hat eine lange Geschichte. Es ist ein interdisziplinärer Bereich, der Ökonomie, Soziologie, Mathematik, Psychologie und Informatik einbezieht. Es handelt sich um experimentelle Soziologie, die sich mit möglichen Zukünften beschäftigt. Dies ist intellektuell und ethisch unbequem. Daher verwundert es nicht, dass die Erforschung von komplementären Währungssystemen bis vor kurzem von Universitäten und Regierungen weitgehend ignoriert wurde.

Der Großteil der Echtweltexperimente ist relativ aktuell, von den Local Economic Trading Systems (LETS) zu den Zeitbanken der 1990er. Eine Link- und Referenzsammlung zu diesem Thema findet sich hier: Open Partnership Web Site.

Warum sprechen sich renommierte Wirtschaftswissenschafter wie Bernard Lietaer (einer der ursprünglichen Entwickler des Euros) und Alan Greenspan (Präsident der amerikanischen Notenbank) für komplementäre Währungssysteme aus? Was hält die Zukunft für unsere Kinder bereit in einer Welt, in der alles, was nötig ist, um ein funktionierendes Banksystem mit einer gesicherten digitalen Währung auf die Beine zu stellen, auf recycelten Computern mit gratis Open Source Software zur Verfügung steht? Welche neue Zukunft werden wir mit diesen Werkzeugen erschaffen?

Wir möchten dieses Potenzial und die Möglichkeiten seiner kreativen Umsetzung in unserer Gesellschaft erforschen. Wir haben uns deshalb entschlossen ein Value Exchange System -- ein System zum Tausch von Werten -- zu kreieren. Es soll ein System sein, das durch gepresste Blumen wertgesichert wird. Wir sind sehr darauf bedacht, dass das Projekt sich stark von Realgeld-Transaktionen unterscheidet. Das Projekt beschäftigt sich speziell mit dem Kreativaustausch zwischen Künstlerinnen und Künstlern. Unser Unterfangen spielt gezielt mit einer ganz speziellen Vorstellung von Zukunft und setzt sich mit den Aufgaben und Geschichten auseinander, die unsere Kinder vielleicht einmal betreffen.
In diesem Zusammenhang könnten digitale Währungen zu Entscheidungsfällungssystemen werden, die etwa wie Wahlen funktionieren. Sie können einfallsreich im Bildungs- und im Wissenschaftsbereich Verwendung finden.

Was wir unter dem Begriff "Geld" verstehen, wird sich in den nächsten 50 Jahren weit über unseren Verständnishorizont hinaus entwickeln. Das wichtigste ist, dass wir als Individuen und als Gesellschaft diese Möglichkeiten verstehen, und nicht erneut zum passiven Opfer der Auswirkungen dieser technologischen und sozialen Veränderungen werden. Die Rede ist hier nicht von dem Geld, das wir kennen, die Rede ist von jener Basis, auf der wir in Zukunft zusammen arbeiten, Entscheidungen treffen und Ressourcen teilen werden. Was sind die Werte, die wir mit Hilfe dieses neuen Systems zum Ausdruck bringen wollen?

Gezeichnet,

David Bovill, Stefan Lutschinger, Günther Friesinger, Johannes Grenzfurthner , Ian Grigg und EVE