Spektakel -
Kunst -
Gesellschaft

Guy Debord und
die Situationistische Internationale


Symposium im Rahmen der Ausstellung
"bildet to-do-stapel"
am 4. und 5. Februar 2005

Kunsthalle Exnergasse, WUK
Währingerstraße 59
2. Stiege, erster Stock
1090 Wien



Audioaufzeichnung der Konferenz

 

Eine Kooperation von Bureau für Philosophie, Café Critique und monochrom

Unterstützt von dérive–Zeitschrift für Stadtforschung, Studienrichtungsvertretung Politikwissenschaft u. a.
Gefördert von bm:bwk, ÖH Uni Wien u. a.

Guy Debord und die Situationistische Internationale erfahren in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Raum vermehrte Aufmerksamkeit. In der Regel ging diese verstärkte Rezeption mit einer Reduzierung der Anliegen Debords und anderer Situationisten auf kunst-, kultur- oder auch medientheoretische Fragestellungen einher. Je größer die Begeisterung und das Interesse für die kunst- und kulturkritischen Schriften Debords wurde, desto weniger Beachtung fand die Gesellschaftskritik, die Debords Kunst- und Kulturkritik zugrunde liegt.
Das Symposium möchte sich dem radikalen Gesellschaftskritiker Debord, der vor zehn Jahren seinem Leben ein Ende setzte, ebenso widmen wie der Kunstkritik der Situationistischen Internationale. Zum einen geht es darum, Debord und die SI in ihrem revolutionären Anspruch ernst zu nehmen. Zum anderen geht es um die Kritik ihrer Vorstellungen vor dem Hintergrund der gesellschaftskritischen Diskussionen der letzten 20 Jahre.

Programm

Freitag, 4. 2. 2005

19.00
Negator:
Die Wiederkehr des Verdrängten: die Situationistische Internationale Ausufernde Einleitung inklusive medialer Plünderung

Die Situationistische Internationale zu würdigen heißt ihren Zeitkern zu retten. In den 1950er Jahren bewegte sie sich in "einer vom Krieg zerstörten Landschaft, den eine Gesellschaft gegen sich und ihre eigenen Möglichkeiten führt" nicht als Avantgarde, sondern als "enfants perdues", als versprengter Haufen, welcher mit der Aufhebung der Kunst meinte die "Nordwestpassage" der proletarischen Revolution gefunden zu haben. Dabei fanden sie die Stellungen der alten Arbeiterbewegung im sozialen Krieg verlassen vor. Jede revolutionäre Perspektive schien im Spektakel der Blockkonfrontation verstellt, die Niederlagen des revolutionären Anlaufs nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 1930er Jahre schienen zementiert, besonders auf jenem Drittel des Globus, wo sie von den nachholenden Modernisierungsregimen unter roter Fahne in einen Sieg umgelogen worden waren. Die Herrschaft der Bilder des Bestehenden, sein Monolog über die in der spektakulären Warenproduktion zum Zuschauen verdammten ProduzentInnen dieses Verhältnisses, schien für die Ewigkeit bestimmt zu sein.

Ausgerüstet mit von den historischen (Kunst-)Avantgarden entwendeten Techniken, mit Marx und Freud sowie der tiefen Verachtung gegenüber jeglicher Duldsamkeit, legte die SI den Warenfetischismus als die Wurzel des Spektakels frei und eröffnete unverzüglich den feindlichen Dialog mit der alten Welt, wohl wissend, dass bereits in der Praxis der
Theorie jede Nachlässigkeit in einer Verstärkung des Bekämpften münden würde. In dem somit wieder eröffneten Spiel ging es blutig-ernst darum, die Dialektik von historisch hervorgebrachten gesellschaftlichen Möglichkeiten und ihrer erbärmlichen Nutzung für die Zwecksetzung in der kapitalistischen Warenproduktion bewusst werden zu lassen, die
radikalen Bedürfnisse auf der Höhe der Zeit zu entdecken und mit ihnen ihre TrägerInnen, das revolutionäre Proletariat. Situationen mussten konstruiert werden, welche dieses kenntlich und seiner selbst bewusst machen konnten. Der Wettlauf mit der alten Welt entschied sich in der Beschleunigung bei der Ausbreitung proletarischer Begierden, der
Entwendung der bisher warenförmig gefesselten gesellschaftlichen Raumzeit für die praktische Kritik des Alltagslebens und das Eingehen neuer menschlicher Beziehungen: "Die Revolution ist aufs Neue zu erfinden - das ist alles."

Was im wilden Generalstreik im Mai/Juni 1968 in Frankreich und später in Italien für kurze Zeit aufgeschienen war, die Infragestellung aller Aspekte kapitalistischer Vergesellschaftung, erscheint heute kaum noch als Traum - geschweige denn, dass die Gegenwart TrägerInnen für ihn abzugeben schiene. Es kann kein zurück geben zur SI, sie muss ihre gründlichen KritikerInnen finden. Gewürdigt werden kann sie überhaupt
nur darin, dass ihre Schwächen und Halbheiten grausam-gründlich bloß gelegt werden. Nicht unter ihrem Niveau den nächsten Anlauf zur Überwindung fetischistischer Vergesellschaftung zu unternehmen, heißt sich der aktuellen Bedingungen und Möglickeiten gewahr zu werden - vor allem aber der unbeglichenen Schulden der Geschichte.

Samstag, 5. 2. 2005

14.30
Alexander Schürmann-Emanuely:
Wenn Manifeste in Pension geschickt werden.
Eine kurze Geschichte der Avantgarden des 20. Jahrhunderts

Ein erster Teil wird einen Überblick darüber bieten, wie Dadaistinnen, Surrealistinnen, PataphysikerInnen und SituationistInnen sich als Avantgarden verstanden - und wie sie danach trachteten die vorangegangenen Vorbilder als inadäquat abzulösen. In einem zweiten Teil wird die hoffnungslose Lage der Intellektuellen des 20. Jahrhunderts aufgezeichnet. Zwar konnten sich diese zwischen Verfolgung und Kulturindustrie einige Nischen schaffen, wo sie als Exzentriker und Dandys einige Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Doch sollte dies nichts an den Katastrophen, die sich rundum zutrugen, ändern. Und um diese Katastrophe zu verhindern waren schlussendlich die Intellektuellen und
ihre Avantgarden angetreten.

16.00
Eiko Grimberg:
Wegschaffen und verwirklichen
Was die SI mit der Kunst wollte

Die nunmehr historische Kritik der künstlerischen Avantgardebewegungen Dada und Surrealismus am autonomen Kunstwerk und dessen Werkcharakter hat diese Kategorien verfestigt, Kunst besteht als getrennte Sphäre weiter. Jedoch hat der gescheiterte Angriff den institutionalisierten Charakter der Kunst und ihre daraus resultierende (relative) Folgenlosigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft zumindest sichtbar gemacht. Seither wird alle Bemühung um Aufhebung der Kunst selbst zur künstlerischen Veranstaltung, die unabhängig von den Absichten ihrer Produzenten Werkcharakter (und Warenförmigkeit) annimmt oder in Popularisierung und kulturindustrielle Konfektionierung umschlägt. Angesichts dieser falschen Aufhebung scheint Adornos Verteidigung des
Autonomiestatus folgerichtig: die Distanz der Kunst zur Lebenspraxis garantiert den Spielraum, innerhalb dessen Alternativen zum Bestehenden vorstellbar werden.

In einer Gesellschaft der Sphärentrennung kann weder die Kunst noch eine politische Avantgardegruppe als separate existieren, wenn sie ihrem Anspruch auf Aufhebung der Trennung gerecht werden möchte. Gleichzeitig ist die Trennung Bedingung der Kritik (als eines äußeren Standpunktes) und Garant der unmöglichen Veränderung. So ist auch Guy
Debord zu verstehen, wenn er schreibt, "je grandioser ihr Anspruch ist (der Anspruch der Kunst), umso mehr liegt ihre wahre Verwirklichung jenseits von ihr. Diese Kunst ist notwendig Avantgarde und diese Kunst existiert nicht. Ihre Avantgarde ist ihr Verschwinden."

17.30
Stephan Grigat:
Fetischismus und Widerstand
Guy Debords Rezeption der Kritik der politischen Ökonomie und die Schwierigkeiten der Gesellschaftskritik nach Auschwitz

Debord hat mit seinem Versuch, die Marxsche Kritik des Fetischismus und an ihr orientierte Gesellschaftskritik aufzugreifen und zu einer zeitgemäßen Kritik fetischistischer, sich spektakulär darstellender Warenherrschaft zu verdichten, neben der Kritischen Theorie die
wichtigste Kritik der bürgerlichen Gesellschaft im 20. Jahrhundert geliefert. Er hat damit in Frankreich eine Tradition begründet, die sich grundlegend vom politiksüchtigen Althusser-Marxismus unterscheidet, der mit Fetischkritik noch nie so recht etwas anzufangen
wusste und wohl nicht zuletzt deswegen im akademischen Marxismus bei weitem einflussreicher wurde als die kaum mit universitären Ansprüchen kompatible Kritik Debords.

Sein erkenntniskritisches Diktum, dass "die Wahrheit dieser Gesellschaft nichts anderes ist als die Negation dieser Gesellschaft" ist in seiner Allgemeinheit ebenso richtig wie es nach dem Nationalsozialismus, der barbarischen Negation der bürgerlichen Gesellschaft, durch eben diese Allgemeinheit falsch wird. Die Situationistische Internationale teilte mit der von ihr so scharf kritisierten Linken die Ignoranz gegenüber dem kapitalentsprungenen
Antisemitismus, was ihr ein Verständnis des Zionismus von vornherein unmöglich machte.

19.00
Bernd Beier:
Die SI als Kritiker der französischen Studierendenbewegung der 60 Jahre und ihre Bedeutung für heutige Protestbewegungen

„Ohne große Gefahr, uns zu irren, können wir behaupten, dass der Student in Frankreich nach dem Polizisten und dem Priester das am weitesten verachtete Wesen ist.“ Mit diesen wenig versöhnlichen Worten begann die Broschüre „Über das Elend im Studentenmilieu“, welche die Situationistische Internationale in Zusammenarbeit mit einigen
Strasbourger Studenten verfasst hatte. Diese radikale Kritik der Rolle des Studenten, der Universität und der gesellschaftlichen Totalität stellte das Vorspiel zu den revolutionären Unruhen von Mai 1968 dar.

35 Jahre später erschüttert eine Streikbewegung den Bereich der kulturellen Produktion in Frankreich. Dieser Streik reflektiert die reale Proletarisierung der in der Kulturindustrie Beschäftigten. Doch was die Situationisten 1966 für den Studenten feststellten, gilt
entsprechend für den Künstler: „Seine extreme Entfremdung kann nur durch die Kritik der ganzen Gesellschaft kritisiert werden. Keinesfalls kann diese Kritik auf dem studentischen Gebiet vollzogen werden: der Student als solcher maßt sich einen Pseudowert an, der ihm verbietet, sich seiner wirklichen Enteignung bewusst zu werden, und er bleibt
damit auf dem Gipfel des falschen Bewusstseins.“

20.30
monochrom:
Praktische Erprobung der Gegenwartsrelevanz situationistischer Kritik
Versuch einer begrifflichen Nichtgebrauchsanleitung sowie einer taktischen Direktübung

Zu den Vortragenden:

Bernd Beier ist Redakteur der Berliner Wochenzeitung "Jungle World" (www.jungle-world.com). Er hatte die Gelegenheit, die Bewegung der Kulturprekären in Paris bis Juli 2003 aus nächster Nähe zu beobachten.

Stephan Grigat promoviert in Berlin, ist Lehrbeauftragter am Wiener Institut für Politikwissenschaft, arbeitet als freier Autor in Tel Aviv und ist Mitglied bei Café Critique (www.cafecritique.priv.at) Herausgeber von "Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weg zum demokratischen Faschismus" (2003) und Koautor von "Amerika. Der ‘War on Terror’ und der Aufstand der Alten Welt" (2003) sowie "Spiel ohne Grenzen. Zu- und Gegenstand der Antiglobalisierungsbewegung" (2004). 2005 erscheint im ca ira-Verlag (www.isf-freiburg.org) der von ihm herausgegebene Sammelband "Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus".

Eiko Grimberg ist Künstler und lebt in Berlin; zuletzt veröffentlicht: "When Germans clap, it's like we boough" (2003).

monochrom ist eine Kunst- und Theorieneigungsgruppe mit Hang zum Kontext-Hacking. monochrom ist eine uneigenartige Mischung aus proto-ästhetischer Randarbeit, Popattitüde, Subcultural Science und politischem Aktivismus. monochrom ist Herausgeberin des gleichnamigen Fachdruckwerks und volontiert immer wieder in den unterschiedlichsten Realitäten. Vor allem das Sammeln, Gruppieren, Registrieren und Befragen (Befreien?) von alltagskulturellen Vernarbungen ist monochrom Passion und quasi-ontologischer Auftrag. monochrom ist: Johannes Grenzfurthner, Evelyn Fürlinger, Frank Apunkt Schneider, Franky Ablinger, Harald Homolka-List, Daniel Fabry, Günther Friesinger. (www.monochrom.at)

Negator widmet sich seit Mitte der 90er Jahre im Freien Radio (www.querfunk.de) unter dem Label „Quergelesen“ revolutionärer Desillusionierung. Unter wechselnden Namen und unter anderem in der Zeitschrift "karoshi" entstanden über mehrere Jahre Vorarbeiten zu einer möglichen aktualisierenden Brauchbarmachung situationistischer Kritik. Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2004 lancierte das AutorInnenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator in der Reihe theorie.org im Schmetterling Verlag mit "Situationistische Revolutionstheorie. Eine Aneignung" über die Buchform hinaus einen Vorschlag zur kollektiven Aneignung revolutionärer Kritik und Überwindung spektakulärer Langeweile.

Alexander Schürmann-Emanuely ist Aktivist des Republikanischen Clubs in Wien und der Ligue Internationale contre le Racisme et l’Antisémitisme sowie Redakteur der Zeitschrift "Context XXI"(www.contextxxi.at). Koautor von "Encyclopedia of Antisemitism, Anti-Jewish Prejudice and Persecution" (2005); "Kulturlichter" (2004) und "Psychotrauma - Die Posttraumatische Belastungsstörung" (2003).

http://www.cafecritique.priv.at
http://www.monochrom.at