Buchcover:
Wie kam es zu dem
"Von Acid nach Adlon und zurück"-Projekt?
Das war mehr oder weniger Zufall. Ich hatte 1999 für das HR-Funkkolleg "Jugendkultur und Popmusik" einen Beitrag gemacht, und als Peter Kemper [Redakteur des HR-Abendstudios - Anm. D. H.] mir anbot, noch einmal etwas zu machen, kamen wir irgendwie auf 'Popliteratur' - als Thema für ein kleines Radio-Feature. Daß das Ganze sich zu einer vierteiligen Sendefolge plus Buch auswachsen würde, war damals keinem von uns klar. Sonst hätten wir wohl beide panisch abgewinkt.
Der Titel wirkt ein bißchen merkwürdig: Müßte es nicht anstatt "Von Acid nach Adlon" eher "Vom Acid ins Adlon" oder "zum Adlon" heißen? Oder geht es um die Assoziation zu Andy Warhols "From A to B and back again"?
Das vielleicht auch, aber vor allem sollten 'Acid' und 'Adlon' nicht zu sehr nur für die chemische Substanz oder die Brinkmann/Rygulla-Anthologie stehen beziehungsweise für das Berliner Hotel, wo das Tristesse-Royale-Popliteratur-Quintett getagt hat, sondern mehr für ideale Orte oder Pole deutschsprachiger Popliteratur: historisch, ideologisch, stylemäßig. 'Acid' steht da mehr für ein utopisches Bewußtseinsreiseziel irgendwo im mythischen Anglo-Amerika. Und 'Adlon' eher für so etwas wie 'Avalon' oder 'Walhalla'.
Waren Sie denn schon mal im Adlon?
Ja, einmal, zum Kaffee, witzigerweise ausgerechnet mit Georg Paul Thomann, der damals an seiner "Konflikt-Masche" schrieb, wo es ja teilweise auch um Popliteratur geht und woraus ich in "Von Acid" ja auch einiges zitiert habe. Übernachtet habe ich im Adlon aber nie.
Gegenüber anderen Büchern über Popliteratur fällt an "Von Acid" auf, daß die Autorstimme nur eine unter vielen ist. Dazwischen und daneben gibt es jede Menge Interviews, Pressezitate, Promosprüche, Bilder, Icons, Werkausschnitte, dazu die CD mit Lesungs- und Hörspielzitaten und Songs, die im Text vorkommen, am Schluß noch die Bibliographie - also eine bunte Mischung aus Einführung, Theorie, Geschichte, Dokumentation, Kritik, Anthologie, etc. Wo liegt das Zentrum?
Das Zentrum ist vielleicht, zu zeigen, daß es gar kein Zentrum gibt. Denn entgegen dem öffentlichen Eindruck wird popnahe Literatur nicht nur von jungen Medienfitties gemacht. Und auch nicht erst seit fünf Jahren. Je genauer man hinschaut, um so deutlicher erscheint der Boom als Teilbereich in einem uneinheitlichen Panorama mehr oder weniger eng verflochtener Cliquen und Traditionen. Und das wollte ich gerade nicht auf einen Nenner bringen, sondern in seiner Vielstimmigkeit abbilden - zumal das Popthema ohnehin dazu einlädt: fremde Stimmen integrieren, die eigene splitten, vorgefundene Oberflächen modulieren, verschiedene Dignitätsniveaus fahren, Konventionen einklammern, den linearen Diskurs ins Mehrdimensionale, Patchworkartige erweitern, auch medial, ins Visuelle und Akustische - alles einschlägige, wenn auch zwischendurch etwas verschüttete Popliteraturansätze, die das Buch zumindest andeutet. Daß das nicht überall gleich gut funktioniert oder gleich gern gesehen sein wird, ist klar. Aber wenn man das gängige Text-DJ-Klischee mal ernstnimmt, würde ich sagen: Es kann interessanter sein, sich ein paarmal zu vermixen, als ein homogenes Lied vom Blatt oder aufs Blatt zu spielen - gerade bei einem 'Sachbuch', wo man so etwas nicht unbedingt erwartet.
Soll das Reden über Popliteratur dadurch quasi selbst Popliteratur werden?
Nein, also "Von Acid" ist jedenfalls ein Sachbuch, keine Belletristik. Und die fraktale Gattungsstruktur folgt auch sachlichen Kriterien: Manches muß eben eher interpretiert, anderes eher kritisiert, einiges einfach nur zitiert werden; wieder anderes muß vor allem veranschaulicht oder überhaupt der Vergessenheit entrissen werden. Über von Stuckrad-Barre im gleichen Modus reden zu wollen wie über Vagelis Tsakiridis oder HEL, wäre Unsinn - es sei denn in Form einer finalen Zweitausend-Seiten-Monographie, die niemand lesen will.
Bei der Masse an O-Töne fällt auf, daß die im Buch am meisten kritisierten Autoren und Autorinnen überwiegend nur indirekt zu Wort kommen. Gab es da Interview-Absagen? Oder wurde das Gespräch gar nicht gesucht?
Sicher spielt die Nähe oder Ferne zu bestimmten Szenen eine Rolle. Ebenso wie die Unlust, Lebenszeit zur Kontaktierung Prominenter aufzuwenden, deren Prominenz sich ja gerade dadurch definiert, nie Zeit zu haben. Trotzdem ist das Zustandekommen von Gesprächen bei einem so ungeplanten Projekt wie "Von Acid" viel zufälliger, als es im fertigen Buch erscheint. Daß einige Prominente weniger direkt zu Wort kommen, hat aber auch den trivialen Grund, daß sie sowohl mit ihren Statements als auch in ihren Reaktionen auf Kritik schon überall erschöpfend präsent sind - was man von Autoren wie Wolfgang Müller, Jürgen Ploog und vielen anderen, die auch etwas zu sagen haben, nicht unbedingt behaupten kann. Gemessen daran, wie selten deren Stimmen öffentlich vermißt werden, scheinen mir die neuen Shooting Stars im Buch nicht unterrepräsentiert.
Stimmt es, daß es eine limitierte "Von Acid"-Edition mit vier echten Trips gibt, die immer am Kapitelanfang auf die Icons geträufelt sind?
Ich weiß nicht, wer das in die Welt gesetzt hat. Weder ich noch der Verlag wissen davon irgendetwas.
[Interview: Dietmar Helm]
Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur
Das Buch
Vor dem Hintergrund einer inzwischen über
dreißig Jahre währenden, sehr wechselhaften Liaison von Literatur
und Pop in Deutschland schlägt Johannes Ullmaier mit dem vorliegenden
Band einen Bogen vom jüngsten Popliteratur-Boom zurück zu den
Anfängen in der deutschen Beat-Dichtung Ende der 60er über Neubeginn
und Fortentwicklung im Zuge der Punk-Explosion Ende der 70er bis zum aktuellen
Underground der Prenzlauer-Berg-, Social-Beat- und Slam-Poetry-Szene.
"Von Acid nach Adlon und zurück" fußt auf einer vierteiligen Sendereihe des Hessischen Rundfunks und liegt nun in einer aufwendig gestalteten, um zahlreiche Originalzitate und Abbildungen vermehrten Buchfassung vor. Dem Buch beigelegt ist eine über 70minütige CD mit original Ton-Dokumenten aus über 30 Jahren deutschsprachiger Popliteratur.
Der Autor
Johannes Ullmaier, geboren 1968, ist Mitherausgeber
der im Ventil Verlag erscheinenden Buchreihe testcard - Beiträge zur
Popgeschichte. Buchveröffentlichungen: "Pop Shoot Pop. Über Historisierung
und Kanonisierung in der Popmusik" (Hofmann 1995), "Kulturwissenschaft
im Zeichen der Moderne" (Niemeyer 2001). Als Herausgeber: "Luigi Russolo:
Die Kunst der Geräusche" (Schott 2000).
"Von Acid bis Adlon und zurück" kann
per
Amazon bezogen werden.