Erzähl mir doch bitte
über deine Herkunft, deine Kindheit, deine Abstammung.
Grundsätzlich muß
ich diese komplexe Frage mit fundamentaler Unwissenheit beantworten. Ich
kann nur die Feststellung des prinzipiellen Existierens machen. Es scheint,
als hätte im Zuge bestimmter, für mich uneinsichtiger Gründe,
meine Struktur einfach begonnen zu "funktionieren". Im Gespräch mit
einigen Beamten des Wiener Magistrats definierte ich diesen Beginn meiner
Funktion als "Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte".
In der fernöstlichen Mythologie würde man dies wahrscheinlich
"sich entfaltender Kranich" nennen.
Was ist die integrierende
Lebensphilosophie eines Dreckhaufens? Erleben Dreckhaufen auch eine Adoleszenz,
eine Pubertät? Wie war das bei dir?
Das sind zu viele Fragen
auf einmal. Ich mag das nicht.
Bist du entfernt mit der
"Allwissenden Müllhalde" der "Fraggles" verwandt? Was hältst
du von dieser Prophetin / Weisen?
Mediale Mißgeburt!
Ich für meinen Teil exisitiere. Sie muß mir das erst beweisen.
Man muß ja nicht jede blöde Ammenmär glauben, die einem
im Kinderprogramm serviert wird.
Hast du noch andere Vorschläge,
wie der Erziehungsprozeß der Menschen verbessert werden könnte?
Da mische ich mich nicht
ein. Der Mensch fristet sein Dasein als planetarer heterotropher aufrechtgehender
Säuger und hat da einfach seine ureigenen Probleme. Die will ich nicht
lösen. Grundsätzlich bin ich liberal, aufgeschlossenen, aber
wie die ihre Bälger großziehen sollen ist wohl ihre Angelegenheit.
Wie bist du zu deinem
Namen gekommen?
Die ersten Worte, die ich
bewußt wahrnahm waren zufälligerweise "He’s marvellous". In
meiner Unkenntnis der Sprachdiversifizierungen verstand ich "Himaleia".
Wie gerietst du in die
Fänge der monochrom-Meute?
Das war so. Mein Vorbesitzer
war der Würstelmann
"Kattolik". Der wollte mich aber nur loswerden. Er wollte mich ständig
seinen minderbemittelten Kunden unterjubeln – zuletzt einer Horde kleiner
Kinder. Einmal
da wollte er mich einmauern. Aber so einfach lasse ich mich nicht unterkriegen.
Ein Dreckhaufen hat 1000 Leben. Da bin ich auf und davon – direkt in die
Fänge der Religion zur Förderung der selektiven Rezeptionsforschung,
die dann meine Lebensgeschichte an den Medien-Multi monochrom verkauft
haben. Glauben ist Droge für’s Arbeitervolk.
Aber ist das nicht alles
eine geschickt eingefädelte Werbekampagne?
Ok. Vergiß das, was
ich eben gesagt habe.
Nehmen die monochrom-Leute
auf deine kreativen Triebe und dein Recht auf Selbstverwirklichung Rücksicht?
Man ist als Dreckhaufen,
schon von sich aus, sehr eingeschränkt. Natürlich will ich mich
weiterentwickeln. Ich züchte zukunftsträchtige Zellkulturen in
meinem Inneren. Aber bis da was anständiges ‘rauskommt, das dauert
schon seine Zeit – aber die hab’ ich ja. Die monochromer unterstützen
das allein durch ihr neben-ihm-sein (also neben mir), indem sie mich akzeptieren,
statt mich zu bekämpfen. Ich brauche keine Liebe sondern Sicherheit.
Bist du mit der Behandlung
durch die MMm zufrieden oder gibt es Dinge, die verbessert werden könnten?
Nein. Solange sie mich nicht
an die Humboldt-Universität, nach Seibersdorf oder in die Harald Schmidt
Show schleppen ist mir das alles vollkommen egal. Und auch nicht nach Bali.
Da ist es heiß und feucht. Da verrotte ich schneller. Als Thomas
Cook, der Ende des 18. Jahrhunderts als Beamter die Koordination von Britschen
Militärtruppentransporten per Bahn überwachte, seine Fähigkeiten
in einer kommerziellen Unternehmung anwandte, konzipierte er eine neue
Form des Geschäfts. Den Tourismus. Derzeit beläuft sich diese
Industrie auf einen jährlichen Umsatz von 3 Trillionen US-Dollar.
Magst du den Tourismus?
Er ist der schleichende Meuchler.
Was hältst du von
der Tätigkeit der MMm?
Hast du vielleicht ein
paar konstruktive Vorschläge zur Verbesserung?
Bei mir ist Toleranz alles.
Aber mit ein paar Sachen, die sie machen, bin ich nicht so einverstanden.
Zum Beispiel sind sie mir nicht ernst genug - da ist doch immer alles lustig.
Soll das Kunst sein? Das ist Spaßhermetik. Weißclownesque.
Naja. Sollen die doch machen was sie wollen. Mir muß es ja nicht
gefallen.
Was sind deine hauptsächlichen
Tätigkeiten? Wie bekämpfst du die Einsamkeit?
Eine typisch menschliche
Frage. Ihr tut mir leid.
Bitte konkretisiere das.
Du weißt schon ganz
genau, was gemeint ist. Aber bitte: Ich fühle mich nie einsam, und
ich muß mich auch nie durch stupide Tätigkeit von den Fragen
meiner Existenz ablenken. Wenn man Meditation als Tätigkeit ansehen
will, dann können wir uns darauf einigen, daß das meine hauptsächliche
Tätigkeit ist – ist aber meiner Ansicht nach nicht richtig. Meditation
ist das Gegenteil von Tätigkeit. Es ist die Nicht-Tätigkeit oder
das Aufgehen in der Nicht-Tätigkeit. Hast du wirklich geglaubt, daß
ich ein Hobby habe? Woran hat du da gedacht? Puzzeln oder Schach oder Radfahren
oder Nintendo 64 oder was? Oder hast du gemeint, welcher Arbeit ich nachgehe,
um es mir auch leisten zu können irgendwo in einer Ecke ‘rumzufaulen’?
Ich finde das highly illogical. Gelegentlich sehe ich fern.
Das klingt als wäre
deine Existenz rein rezeptiv. Dies würde zum einen zwar deinen Aufenthalt
im Kreis des Vereins (oder der Religion) für selektive Rezeptionsforschung
ad futuram erklären, zum anderen geben aber Menschen nie etwas über
längere Zeit ohne nicht etwas dafür zu bekommen. Also entweder
gibst du etwas oder eure Beziehung wäre bald vorbei. Was gibst du
oder hast du nun Existenzangst?
Simpel ausgesprochen bejahe
ich meine Anwesenheit auf Erden, obwohl ich sowas wie einen Selbsterhaltungstrieb
noch nicht feststellen konnte. Ich bestehe zu 70 Prozent aus anorganischen
Stoffen. Bin entschieden gegen die Mülltrennung. Das ist Augenauswischerei.
Die Unterschiede zwischen
Menschen und einem Dreckhaufen vergrößern sich auf faszinierende
Weise. Kannst du uns Deine emotionale und philosophische Befindlichkeit
schildern?
Soviel Unterschied ist gar
nicht zwischen dem Menschen und dem Dreckhaufen. Mir fällt da ein
sehr passendes Zitat ein. Es geht etwa so: Ihr seid Zufall, Scheiße,
Nichts, das sich zum Gesetz aufwerfen will ... oder so. Ich weiß
nicht mehr genau, wie es gegangen ist. Jedenfalls: Zufall, Scheiße,
Nichts – das heißt Bourgeoisie.
Das ist von Antonin Artaud!
Mich beeindruckst du nicht.
Erleben Dreckhaufen auch
eine Adoleszenz, eine Pubertät?
Wie war das bei dir?
Grundsätzlich bin ich
ja aus Gründen meines sehr introvertierten Aufbaus nie wirklich sozialisiert
worden. Aus diesem Grunde gibt es auch keine Angriffspunkte - sagen wir
mal Janosch-Bücher (*) - gegen die ich mich hätte auflehnen können.
Ich bin durch meine physische Konstruktion an sich schon dissident. Ich
habe nichts gegen den Ausdruck Strukturrevoluzzer. Außerdem bin ich
geschlechtslos. Ich vermehre mich vegetativ, wie bereits angesprochen.
Das erspart mir Schminke.
Was waren die wichtigsten
Stufen oder Erfahrungen in deiner Entwicklung? Wie wird die Zukunft aussehen?
Ich kann derzeit meine Entwicklung
nicht einschätzen, da mir mangels Vergleichsmöglichkeiten mit
ähnlichen Lebewesen ein Rahmen fehlt. Es wird schon irgendwie weitergehen.
Aufgrund fehlender Mechanismen sehe ich sowieso alles schwarzweiß.
Es braucht mir also niemand mit der bunten Vielfalt der Natur kommen. 3D-Sicht
ist mir ja auch nicht gegeben. Egal.
Träumst du manchmal
von einem/r gleichartigen Gefährten/in?
Hör’ mir doch endlich
mal zu, Menschlein!
Was ist die integrierende
Lebensphilosophie eines Dreckhaufens?
Geschichtlich betrachtet
kann ich mich nur mit Thomas von Aquin vergleichen.
Kannst du dies etwas elaborieren?
Hmmm. Das Sein ist das alles
Durchdringende, jenseits dessen nichts mehr ist. Alles Erkennen des Menschen
hält sich im Sein genauso wie alles Fragen. Auch das Leben in der
alltäglichen Welt vollzieht sich immer im Horizont des Seins. Ständig
reden wir darüber, daß etwas ist oder nicht ist. In allem Handeln
geht es darum, was noch nicht ist werden zu lassen, d.h. ins Sein zu bringen
oder es vergehen zu lassen, d.h. aus dem Sein herausstoßen. So ist
Sein für uns das "Allerbekannteste" (Thomas von Aquin, 1225-1274).
Darum meinen wir oft, es sei nicht weiter notwendig, über Sein und
Seiende nachzudenken. Versuchen wir uns aber darüber Rechenschaft
abzulegen, was wir meinen, wenn wir vom "Sein" sprechen, so bemerken wir
sehr bald, daß wir in Schwierigkeiten geraten. Auf diesen Sachverhalt
hat schon Platon (427-347 v. Chr.) aufmerksam gemacht: "Denn offenbar seid
ihr doch schon lange mit dem vertraut, was ihr eigentlich meint, wenn ihr
den Ausdruck »seiend« gebraucht, wir jedoch glaubten es einst
zwar zu verstehen, jetzt aber sind wir in Verlegenheit gekommen." Reicht
das?
Welches ist Dein Zugang
zur abendländischen Philosophie?
Der übliche.
Konsumierst du etwas?
Das kann ich getrost verneinen.
Ich lebe von dem, was andere als nicht konservierenswert ansehen – was
aus dem Kreislauf des Konsumismus ausscheidet, und von dem, was nie den
Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen war. Ich bin, biologisch
betrachtet, autophag. Außerdem, wie ein altes Wienerlied sagt: Ohne
Göd lebt si’s vü bessa, wö ma kans valian ko.
Ich denke, es war Ostbahn
Kurti, der sowas ähnliches gesungen hat. Wie ist dein Verhältnis
zur Populärkultur/-musik?
Mein Zitat wurde scheinbar
als "Lokalkolorit" mißgedeutet. Das war nicht beabsichtigt. Was die
Populärkultur betrifft. Ich bestehe aus ihr. Ich konnte aber - und
dafür bin ich dankbar - diese Grenzen überwinden. Mein Gehör
ist nicht so ausgeprägt.
Und weil wir gerade dabei
sind und du es vorhin auch angesprochen hast – was siehst du im Fernsehen
am liebsten?
Zum Beispiel die Space Night
im Bayrischen. Die potthäßliche Angela Lansbury jagt mir auch
immer wieder einen wohligen Schauer durch den Faserfilz.
Ist Dein Leben eher ein
kunstvolles Mosaik oder eine Kinder-Laubsägearbeit?
Dieser Vergleich fällt
mir schwer. Wenn mein Leben einem der beiden Varianten gliche, dann gäbe
es folgerichtig einen Schöpfer. Den kann es aber nicht geben. Das
kann ich schon mit 100%-iger Sicherheit sagen.
Das würde jetzt Thomas
von Aquin aber nicht gefallen.
Muß ich’s immer allen
Recht machen?