Es
gibt einen sprachwissenschaftlichen Fachausdruck für
jenes Phänomen, dass jeder Brotaufstrich auf Schokoladenbasis
"Nutella" heißt, jeder Kleber "Uhu"
und jedes Papiertaschentuch "Tempo". Zwar haben
wir ihn in den letzten Jahren gründlich vergessen, möchten
ihn aber dennoch, quasi "in effigie", für wesensverwandte
Übertragungsleistungen in der Kunst-Sphäre heranziehen.
Ruft man nicht selbst bisweilen mit schiefwinkligen Portalen
versehene Schuhgeschäfte "futuristisch", obschon
diese Eingangsbereichgestaltung keinesfalls in faschismusnah-kulturkritischem
Vitalismus wurzelt? Sagt man nicht auch schon mal "zappesk",
wenn ein unnötiger Fusion-Matsch-Mittelteil vom Hundertsten
ins Tausendste jamsesst (sprich: tschämsescht), ohne
dadurch zappaische Metaironie zu transportieren? Und wer zuckt
nicht gelegentlich die Vokabel "expressionistisch",
wenn ein neuer Dichter alten Typs die Diffusionen der eignen
Seel' zerstammelt?
Ähnlich solchen Phänomentotschlägern (wir sagen
auch noch "kafkaesk") ist auch die Handhabung des
Begriffes "dadaistisch" durch die neue und die alte
Feuilletonaille eine universelle. Ungeachtet der oft krausen
und in Widersprüchen gefangenen Programmatik jener Kunstrabauken,
die sich unter diesem Nicht-Begriff sammelten, wird heute
alles, was nur im entferntesten eingespielte Sinnkonstruktionen
in der Kunst unterläuft, unter dem dankbaren Zweisilber
abgebucht, frei nach dem Motto: "Das ist >dadaistisch<;
wir verstehen, warum wir es nicht verstehen können/sollen/brauchen/dürfen".
Zum einen also manifestiert sich in solchem leichtfertigen
Phänomen-Dropping die Rezeptionsträgheit der kulturindustriellen
Vorkoster, zum anderen wird gerade dadurch der Begriff mit
distinktionsmäßigem Oberschüler-Tauschwert
aufgeladen, indem nämlich diese sich qua des kennerhaft
ins Feld geschleuderten "Dada"-Signets der Avangardeanbindung
ihres jeweiligen (mal begrüßenswerten, mal affigen)
Studentenulks versichern können. Nichts gegen die Ent-Historisierung
in der Postmoderne im allgemeinen, aber warum spezifische
kunstgeschichtliche Begriffe unnötig lexikalisieren,
damit sie dann völlig konturlos geworden, schließlich
in Form serienmäßigen Aufdrucks italienischen Küchengerät-Designern
verfügbar werden, und das einst unter solchem Bänner
attackierte Spektakel sich einmal mehr als Sieger über
jegliche Äußerungsform von Dissidenz weiß.
Macht nicht gerade der usurpierende Nischenkapitalismus mit
seinen inhaltlichen Ent- und kommerziellen Verwertungsmechanismen,
die noch das Abseitigste in der Zielgruppenakquisition zu
vermünzen wissen, eine Subversions-Strategie sich ständig
erneuernder und sich damit wenigstens für einen Moment
der Freiheit entziehender Begriffe und Formatierungen eines
Untergrundes der 1000 Plateauschuhe notwendig, anstatt sich
gleich "ab Werk" griffige "File under"-Vokabeln
ans Revers zu heften? Etwa im Feld popmusikalischer Praxis
hat sich ja zum Beispiel im Begriff "lndustrial"
gezeigt, wie dessen antikonsumistische Potenz einfach getilgt
wurde, indem man erfolgsformelhaften Stadion-Stampfrock (Nine
lnch Nails) hierunter rubrizierte, bis schließlich das
einstmals in ihm Enthaltene ausgetrieben war. Daher, bitte,
nennt eure Anti-Kunst-Handlungen nicht "dadaistisch";
was heute noch diesen Namen führen dürfte, eben
jene stilistische Wiederaufbereitung seiner von jeglicher
Relevanz entleerten Ausdrucksmittel durch z. B. Studentenkabaretts,
ist belanglose Kunst-Kunst, die sich ein gezähmtes
"Anti" als Haustier hält. Nicht aber lässt
sich der wennauch historisch-sorgfältigen Reproduktion
dadaistischer Anti-Kunst-Affekte jenes Moment einer Befreiung
von ästhetischem (und damit politischem) Beherrschtsein
abgewinnen, die als Gerücht für einen kurzen Moment
den originären Dadaismus durchwehte. (Vgl. hierzu auch
den rockistischen Dogmen-Punk der 90er Jahre mit seiner brauchtumspflegerischen
Gestik.) Finden wir zumindest.
So.
Punkt. |