minus
24x
A Manifesto by Grenzfurthner
Things
and thoughts advance or grow out from the middle, and that's where you
have to get to work, that's where everything unfolds.
("On Leibnitz", Gilles Deleuze)
Ein spezifischer Gebrauch
ist einem Gegenstand nie inhärent, obwohl das Technikdemagogen gerne
behaupten (vgl. den Begriff "selbsterklärend" und den Begriff
"archäologischer Fund"), sondern wird mit ihm per Definition
("Gebrauchsanweisung") verkettet. Einen Gegenstand gegen den
ihm eingeschriebenen Gebrauch (als Soziolekt der Dingwelt) zu wenden heißt,
seine Möglichkeiten zu erproben. Ich würde nämlich sehr
gerne mal einen Nagel mit einem Akkuschrauber einschlagen, aber momentan
überwiegt noch die Angst vor der Freiheit und die Furcht vor der
Verantwortung...
Warum ich das schreibe?
Nun...
...es fiel mir ein Buch in die Hände. "Tales from the Tech Line".
Im Untertitel nennt es sich “Hilarious Strange-But-True Stories
from the Computer Industry’s Technical Support Hotlines" (Berkeley
Books, NY).
Darin finden sich Geschichten über Leute, die in Softwareläden
nach ”Word for Gameboy” fragen. Oder Menschen, die glauben
ihre Netscape Beta-Version funktioniere nicht, weil sie einen VHS-Computer
hätten. Oder die wegen der Apple-Fehlermeldung mit dem Bomben-Icon
ihr Haus evakuieren. Oder die die Mouse für ein Fußpedal halten.
Oder die ihre Disketten lochen und in den Aktenordner heften – oder
einfach der Meinung sind, dass das CD-ROM-Laufwerk ein Kaffeetassenhalter
ist.
Ein Exzerpt:
Tech: All right. Now
I'd like you to quit any programs you're running, and close any windows
you've got open.
Caller: Well, OK ... There are only two windows here in the basement,
and they're both already closed.
Tech: No, no – the windows on your screen ...
Man könnte meinen,
hier wird mit dem Finger gezeigt. Grob geschätzt war dies wohl auch
die Intention des herausgebenden Verlags – um billige Lacher zu
kitzeln. Inniglich-böses Grinsen über die unverbesserlich Dümmlichen.
Ein "Abfeiern" an der Dämlichkeit der Nichtwisser, hämisch-esoterisches
Schmunzelkabinett der Kennerelite. Eine Witzesammlung für die fröhlichen
“Gewinner" der digitalen Zweiklassengesellschaft. "Get
wired or you are toast". Sogar der Scherz-Bereich scheint auf Produktivität
getrimmt.
Aber halt! Wechseln wir die Lesart! Diese Ludditen(*) des Unvermögens
sind der rettende Holzschuh im Getriebe der Fortschrittsmaschinerie; der
menschliche Faktor in der Milchmädchenrechnung der Programmierer
unserer Zukunft. Die Unfähigkeit ist glorreich, die Unwissenheit
ist eine gleichsam wundersame Verlangsamung, eine Schmähung der Highspeed-Prozesse
unserer kapitalistisch-technologischen Welt. Oh liebe, liebe Leute! Werte
Versager! Das Klicken eurer Keyboards ist das erosive Knarzen der Förderschnecke
des anthropophagen Fleischwolfs, den euer Wirken verschleißt. Euer
"Approach" – die Art und Weise wie ihr Computer einsetzt
– bringt Konzernchefs zum Weinen und sublimiert den Kapitalismus
durch den Einzug GROSSER GEFÜHLE ins Topmanagement.
Das Informationszeitalter ist ein Zeitalter des permanenten Steckenbleibens.
Immer höhere Geschwindigkeit wird einverlangt. Neue Software, neue
Hardware, neue Strukturen, neue Kulturtechniken. Lebenslanges Lernen?
Ja. Aber die Firma kann nicht jedes halbe Jahr die Sekretärin feuern,
weil sie die neue Excel-Version nicht schnallt. Sie können zwar ihre
Keystrokes zählen, ihre Produktivität messen... aber! Sie werden
niemals ihr Unvermögen sanktionieren können! NIE! Denn das ist
immanent.
Das Peter-Prinzip muss auch auf die Menschheit als Ganzes angewandt werden:
Immer höher steigt man in der Hierarchie des Lebens – bis man
einen Punkt erreicht hat, an dem man nicht mehr befördert wird, weil
man für einen erneuten Aufstieg einfach zu unfähig ist. Man
hat die Stufe seiner Inkompetenz erreicht, auf der man schließlich
elendiglich zugrunde gehen wird. Nur eine Verschwörung der Dummheit,
der naturgewachsenen und der künstlich und kunstvoll geschaffenen,
kann uns vor dem letzten Schritt in eine Welt bewahren, die wir nicht
mehr verstehen, weil sie sich einen Dreck um uns schert. Auf uns warten
schier endlose Möglichkeiten des Versagens. Diese Leute kann man
nicht auslachen, im Gegenteil. Diese Geschichten sollten als Lobpreisungen
der Dissidenz gelesen werden:
Der Mitarbeiter, der sich über die filigrane Beschaffenheit des ausfahrbaren
Kaffeetassenhalters "24x" an seinem PC beschwert, ist der sieche
Fiebertraum des sich kurz vor dem didaktischen Durchbruch wähnenden
Manual-Autors. Und man stelle sich den Augenblick epistemologischer Panik
vor, in dem die Welt seines Chefs zerbricht, als dieser erkennen muss,
dass er mit den Entwicklungskosten für sein CD-ROM-Laufwerk besser
ein schönes Fest mit Freunden gefeiert hätte, weil sein System
verhängnisvollerweise vom menschlichen Bewusstsein, prinzipiell und
transbiologisch determiniert, nicht in jener Lesart wahrgenommen werden
KANN, in der es von ihm vorgesehen war. Sein Lebenswerk ist ein Kaffeetassenhalter,
und er stirbt in geistiger Umnachtung. Und seine Firma mit ihm.
Eine mir bekannte Person definierte sich vor kurzem als Standard-Fehler-Sound
in WinNT ein Eigensprach-Sample mit dem Text “Geh leckts mich doch
alle am Arsch”. Das ist zwar durchaus unlustig und mit der Zeit
überaus nervig, aber mehr als passend. So gehet denn hin und machet
Fehler – kleine und große, nette und blöde, unwichtige
und verheerende. Und wenn wir schon dabei sind: Vergessts mir ja die Rechtschreibung
niecht.
(*) Bildungsbürgerlicher
Randkommentar: Englische Ludditen und deutsche Maschinenstürmer des
19. Jahrhunderts wehrten sich gegen neuen Maschinen in der Textilindustrie,
die ihnen Arbeit, Lohn oder Status streitig machten.
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