Den Raum klanglich
füllen
Über den wiedereröffneten
Klangturm in der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten
Petra Erdmann
In der niederösterreichischen
Landeshauptstadt St. Pölten hat der Architekt Ernst Hoffmann ein 77
Meter hohes Gebäude aus Eisen, Stahl und Glas gebaut – »als
Tor zu einer sich stürmisch ausbreitenden medialen Welt« –,
den St. Pöltner Klangturm. 1996 unter der künstlerischen Leitung
der Musikerin Mia Zabelka eröffnet, setzt nun der Kulturjournalist
Roland Schöny die Programmatik des Hauses fort und übt sich seit
April diesen Jahres in der ästhetischen Repräsentation digitaler
Sound-files und deren Vermittlung. Installationen und eigens in Auftrag
gegebene Kompositionen sollen alljährlich ausgetauscht werden, das
Grundprinzip bleibt gleich: Hinwendung zur Elektronik.
An einem heißen
Sonntag im August ist das St. Pöltner Regierungsviertel wie ausgestorben.
Im Beamten-Ghetto ist es still geworden. Dieses bizarre Ghosttown-Ambiente
bietet wahrlich keinen Anreiz zum »Chillen«. Was bleibt, ist,
sich im elektronischen Klangtempel aus der beängstigenden Ruhe herausreißen
zu lassen. Was man sich wünscht? Dass einem beim Eintritt in die Ausstellungsräume
im besten Sinne Hören und Sehen vergehen mag. Rein in den Panoramalift,
der einen mit »heavy-digitaler« Elevator-Music in die sieben
möglichen Ausstellungslevels des Klangturms katapultiert. Solche Spielereien
suggerieren Entertainment, den Sound als Event.
Man hört also
auch mit den Augen! Blau, Pink, Gelb … die einzelnen Etagen sind nach einem
Konzept des Designerteams d+ durch transparente Farbfolien jeweils in ein
anderes Licht getaucht, welches das Hörerlebnis vertiefen soll. Auf
drei Ebenen verteilt sind die sogenannten »Soundgates«. In
jedem »Soundgate« eröffnet sich eine begehbare Kugel,
die, versehen mit mehreren Lautsprecherboxen, eine fix verankerte Innenarchitektur
für inter/nationale Klangaufträge darstellt. Der Electronic-Musiker,
DJ und Betreiber des Labels Cheap, Patrick Pulsinger, hat als erster die
drei »Soundgates« mit seiner Komposition »Klangwurst«
bespielt.
»Ob das ein
Club, ein Museum oder eine Herrentoilette ist, ist ja von der Herangehensweise
egal. Ich versuche, den Raum klanglich zu füllen und den ZuhörerInnen
eine Story zu vermitteln«, sagt Pulsinger in Bezug auf seine Arbeit
im St. Pöltner Klangturm. Leider reißt Pulsingers schöne
»Beat-Story« aufgrund baulicher Gegebenheiten immer wieder
ab. Denn bevor man der »Klangwurst« im nächsten Soundgate
weiterlauschen kann, müssen die BesucherInnen die eingezogenen Zwischengeschoße
absolvieren. Schnell überhört man, dass die Wurst zwei Enden
hat: Vorbei an dem gelungenen »Heavy Rotation Revisor«, einem
Automaten der Multimedia-Gruppe »Meso\involving systems«, mit
dem man laufende Radioprogramme remixen kann. Zwischenstopp bei den zu
Instrumenten umfunktionierten Nintendo Game Boys von Christoph Kummerer,
Robert Stepanek und Christoph Weber. Das Jahresprogramm des künstlerischen
Leiters Roland Schöny präsentiert sich eher zurückhaltend
und reduziert, mit viel Ambition und wenig Attraktion – mit einer Ausnahme:
»Pension MIDI« – einer Installation des post-dadaistischen
Künstler- und Bastlerkollektivs Monochrom.
Auf Level +5 lädt
Monochrom zu einer erfrischenden und ganz undiktaktischen Werk- und Requistitenschau
der elektronischen Musikgeschichte ein. Folklore und Techno stehen da ganz
nahe beisammen. Im rustikalen Plattenregal stapelt sich luftig Vinyl von
Bruce Gilbert bis hin zum Wu-Tang-Clan. Hier lagern verstaubte Geweihe
neben einer Vitrine mit dem Titel »Krone der Schöpfung«:
Gefüllt ist sie etwa mit Karlheinz Stockhausens Unterschriften, aus
dem Netz heruntergeladen und vergrößert, oder mit Verweisen
auf den deutschen Krautrock der siebziger Jahre. Daneben protzt ein Dirndl
auf einem Kleiderständer, und das Lebkuchenherz titelt mit Zuckerguss
»Daft Punk«. Ganz in der Nähe kann man sich an dem Atari-Pionierspiel
Pac Man zu schaffen machen oder einen Roland TR 505 malträtieren.
Musikantenstadl-Chef Karl Moik grüßt vor einer Skyline auf einer
Ansichtskarte: »Jeder kann elektronische Musik machen«, und
zwei gerahmte Gartenzwerge, die neben einem Ölschinken mit bäuerlichem
Motiv (einer Leihgabe des Niederösterreichischen Landesmuseums) hängen,
verkünden: »Ja, ich freue mich auf K & D«.
Kruder & Dorfmeister
sind das österreichische Vorzeige-Duo auf dem internationalen Down-Tempo-Boden.
Steht die Luxus-Marke K & D für die Global-Player eines innovativen
Technologie-Kults? Sind sie in der »Pension MIDI« als abgehangener
Beweis eines pop-technischen Fortschrittsglaubens katalogisiert oder doch
eher als Mythos, der den Nationalstolz nährt und deshalb als Phänomen
mit viel Trachten-Outfit und kalkuliertem Heimatmuseumsmief umgeben werden
muss? Monochrom haben in der »Pension MIDI« ein kluges offenes
Tänzchen rund um die Zuschreibungen von elektronischer Musik veranstaltet
– eine Installation, die im Gewand einer bestens präsentierten Regionalismus-Parodie
daherkommt.
In der ländlichen
Realität hätte der Standort St. Pölten zumindest einen Heimvorteil
für die dort ansässige »elektronische« Clubszene
ergeben können. In der Region, in der die DJ-Locations ohnehin schon
dünn gesät sind, wurden nun auch die vormals im Klangturm veranstalteten
»DJ-Nights« zum Testlauf in die benachbarte Shedhalle verlagert.
Der Klangturm, das Künstlerkollektiv la musique et sun (lames) und
das proton, der örtliche Verein zur Förderung der Urbankultur,
treten dabei gemeinsam als Veranstalter in Aktion. Derzeit ist die lokale
Dancefloor-Praxis stillgelegt. Die Shedhalle wird umgebaut und im November
2002 feierlich der Hochkultur, dem NÖ Landesmuseum, übergeben.
Und bald werden Postings in Webforen wie das folgende sang- und klanglos
verschwinden: »hi, i'm rokker007, this club /Shedclub/ is a place
where you can come hang out, you don't need to talk about mountain biking
…«
http://www.klangturm.at
http://www.monochrom.at
http://www.cheap.at
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