Der Eisenerzer Zukunftsweg: Eine utopische Spatenstich-Reise durch den öffentlichen Raum

Laufende Spatenstiche zwischen 22. und 24. August 2013 in Eisenerz, Steiermark.
Vortrag am 23. August 2013 um 11 Uhr.
(FB-Event)

Öffentlicher Raum als Machtraum

Wir müssen davon ausgehen, dass viele Menschen die Räume, in denen sie leben, als fremd verordnet empfinden, seien es urbane Viertel, Zweckräume oder dörfliche Gemeinden. Das hat auch damit zu tun, dass der öffentliche Raum den Menschen stets als Fertiges gegenübertritt, als Ergebnis einer Planungstätigkeit, die sich weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Gremien und Kommissionen zwischen Fachleuten und den StellvertreterInnen politischer oder gesellschaftlicher Institutionen vollzieht. Die Prozesse demokratischer Willensbildung sichern ein gewisses Mitspracherecht, finden aber weitgehend abgetrennt von den konkreten Gestaltungsaufgaben statt. Zwar können wir PolitikerInnen per Wahlentscheid für ihre Arbeit belohnen oder abstrafen, das Ergebnis dieser Arbeit aber können wir meist schon nicht mehr abwählen. Es ist längst zu jener Welt geworden, in der wir leben (müssen), ob sie uns nun gefällt oder nicht. So wird der öffentliche Raum häufig als ein durchherrschter erlebt, der Gefühle der Frustration, der Ohnmacht und einer schicksalhaften Unabänderlichkeit hervorruft.

Der „Spatenstich“

Ein Bild, das uns mehr oder weniger täglich unsere Ohnmacht gegenüber diesem Raum vor Augen führt, ist der so genannte „Spatenstich“.

Unter einem „Spatenstich“ verstehen wir jenen festlichen Akt, mit dem eine Bautätigkeit offiziell eröffnet wird. Da Bauarbeiten selbst kaum bildwirksam sind und wenig darüber aussagen, was da gebaut wird, gruppiert er HonoratiorInnen, die die verschiedenen Aspekte eines Bauwerkes veranschaulichen: Sponsoring, Schirmherrschaften, involvierte Organisationen, zuständige Institutionen, politische EntscheidungsträgerInnen etc.

Der Spatenstich inszeniert sich als erster Arbeitsschritt, der einen Prozess in Gang setzt, an dessen Ende dann ein fertiges (öffentliches) Gebäude stehen wird. Allerdings stellt er nur selten den tatsächlichen Baubeginn dar. Der Erdaushub, mit dem ein Bau beginnt, wird ja längst nicht mehr mit Spaten, sondern mit Baggern bewerkstelligt und häufig findet er lange vor oder nach dem eigentlichen Baubeginn statt, weil er sich nach dem Terminkalender der daran beteiligten Promis richten muss.

Somit ist er kein Bestandteil der Arbeit selbst, kein erster Arbeitsschritt, dem weitere folgen, sondern ein Porträt der Macht, eine reine Inszenierung zur Erzeugung medial verwertbarer Bilder.

Der Spatenstich gehört zu einer spezifischen Ordnung öffentlicher Repräsentation: als symbolische, allgemein lesbare und nach starren Codes organisierte Darstellung. Sie stellt jene Bilder bereit, die sich ohne großen Erklärungsbedarf verbreiten lassen, um die Öffentlichkeit über Bauvorhaben bzw. kommunale Planung und politische Absichten zu informieren. Oft erfahren wir erst durch auf diesem Wege, dass etwas gebaut wird und vor allem: was.

Zur Ikonographie des Spatenstichs

Spatenstiche sollen uns vermitteln, dass sich die politischen Organe kümmern: um unsere Belange und Bedürfnisse oder die der Kommune, dass sie Missstände aus der Welt schaffen und (Struktur-)Probleme angehen. Sie zeigen uns, dass die, die wir dabei sehen, anpacken können. Sie erscheinen nicht als sprichwörtliche Amtsschimmel, sondern vor Ort, wo es etwas zu tun und auf den Weg zu bringen gibt. Spatenstiche sind damit ein geeignetes Mittel, das vor allem LokalpolitkerInnen nutzen, um sich aktiv, problembewusst, lösungsorientiert und volksnah zu geben. Gelegentlich dienen sie auch einfach nur Wahlkampfzwecken, wenn etwa Bauvorhaben vorzeitig eröffnet werden, obwohl sie noch längst nicht durchfinanziert sind.

Damit die intendierte Bildwirkung funktioniert, muss jedoch streng auf die allgemeine Lesbarkeit des Bildereignisses geachtet werden. Deswegen sehen wir Spatenstiche meist als hochgradig stereotype Bilder, die hinlänglich bekannte mediale Klischees streng und beinahe dogmatisch wiederholen. Die in ihnen behauptete Wichtigkeit steht dabei in einem ästhetisch reizvollen Kontrast zur Beliebigkeit und Austauschbarkeit dessen, was wir sehen. Gerade in den Printmedien des ländlichen Raumes begegnen sie uns immer wieder und immer wieder gleich. Zu ihrem Lieferumfang gehören u. a. informationell stark verdichtete Bildunterschriften wie:

Freuen sich über den Startschuss für das drei Millionen Euro teure Projekt im neuen Ortsmittelpunkt (von links): Investor Jochen Hohmann, Bürgermeister Peter Meinecke, Mitinvestor Edgar Hartung, Erster Beigeordneter Werner Jost und Bauausschussvorsitzender Alfred Schöppner.

Die besondere Art der Bildinszenierung, die sich vor allem am Repräsentationsbedarf der Abgebildeten orientiert (weniger am Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit), kehrt jedoch auch unfreiwillig hervor, inwieweit die Gestaltung des öffentlichen Raumes nach klaren Hierarchien erfolgt. In der Regel sehen wir „Großkopferte“, die die verschiedenen Dimensionen und Implikationen eines Projektes repräsentieren, gelegentlich unterstützt von Prominenten ohne spezifischen Projektbezug.

Zwar wollen diese eine Verbundenheit mit den BauarbeiterInnen zum Ausdruck bringen, indem sie zum Spaten greifen, aber bereits ein kurzer Blick entlarvt die dahinter liegende Inszenierung. Denn sie tun dies stets in jener Arbeitskleidung, die ihnen zugeordnet ist: Anzüge oder Kostüme, die die Dresscodes des Baus wirkungsvoll kontrastieren. Und wir verstehen: Sie werden sich nicht wirklich in die Gefahr begeben, ihre teure Kleidung zu beschmutzen. Gerne setzen sie sich – wohl um diese augenfällig Diskrepanz ein wenig zu kaschieren – Bauhelme auf, die im Zusammenhang mit Erdarbeiten eher skurril anmuten.

Aus all dem geht hervor, dass die Bebauung und Gestaltung des öffentlichen Raumes die Sache von „denen da oben“ ist, denn die Menschen, die dann wirklich Hand anlegen, werden nicht als bildwürdig erachtet. Und stets sind die Bauvorhaben, die dergestalt symbolisch eröffnet bzw. verifiziert werden, längst beschlossene Sache, an der es nichts mehr zu rütteln gibt und die die, deren Lebensraum sie später darstellen werden, nur noch zur Kenntnis nehmen können.

Jeder Mensch ist ein Promi: Die Aneignung des Spatenstichs

Der Spatenstich ist ein Bildklischee, dessen Bedeutung wir alle kennen. Ausgehend von diesem allgemeinen Wissen über Sinn und Ikonographie des Spatenstichs möchte monochrom den Eisenerzer BürgerInnen die Möglichkeit geben, selbst Spatenstiche auszuführen bzw. an ihnen teilzuhaben und sie zu inszenieren und auf diese Weise ihre Lebenswelt mitzugestalten. Sie sollen ihre Vorstellungen davon, wie diese aussehen soll und was in ihr fehlt, in Bilder fassen und medial verbreiten. Gemeinsam mit ihnen wollen wir Erzberg mit symbolischen Spatenstichen durchziehen und so andere Bilder von der Zukunft des Ortes herstellen, als die, die üblicherweise gezeigt werden. Damit können sie ein medienwirksames Zeichen setzen, welche baulichen Veränderungen oder Ergänzungen ihres Ortes sie sich wünschen.

Zunächst werden wir hierfür eine Ortsbegehung vornehmen, um uns ein Bild davon zu machen, was es dort bereits gibt (und was gerade entsteht), aber auch welche Desiderate bestehen und welche (utopischen wie realen) Entwicklungsmöglichkeiten wir vorfinden.

In Gesprächen mit BürgerInnen und lokalen Kulturschaffenden möchten wir die Wünsche und Belange des Ortes kennen lernen. Wir wollen ihnen Raum geben, eigene Perspektiven von Stadtentwicklung zu entwerfen und uns mitzuteilen, wie Eisenerz aussehen müsste, um wirklich ihr Ort zu sein – und nicht nur eine Agglomeration von Lokalpolitik und Investoreninteressen. Dadurch möchten wir ihnen vermitteln, dass jeder Ort nur so gut ist, wie die Mitgestaltungsmöglichkeiten, die er bereitstellt. Unser Stadtbild und unsere Infrastruktur sind keineswegs ein Schicksal, das hingenommen werden muss. Sie sind ein Projekt, an dem wir alle gemeinsam arbeiten müssen.

Wichtig ist uns, dass wir die BürgerInnen dabei nicht durch jenen baulichen oder fiskalpolitischen Realismus einengen, der offizielle Stadtpolitik bestimmt. Die inoffizielle Politik unserer Spatenstichreise soll sie anregen, zu phantasieren und zu träumen, nicht um auf diesem Wege der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern weil der von seinen Fesseln befreite Gedanke der Anfang einer Utopie und unserer aller Zukunft sein kann.

Folglich wollen wir realistische Wünsche (etwa den nach einer Skaterbahn) gleichberechtigt neben dem Vorschlag stehen lassen, z.B. ein „Denkmal für gar nichts“ zu errichten.

Die Vorschläge, die uns präsentiert werden, werten wir aus – nicht nach Maßgaben ihrer Realisierbarkeit, sondern danach, was wir unter entwicklungspolitischen, lebensraumgestalterischen oder ästhetischen Prinzipien schön, herausfordernd oder wünschenswert fänden. Unsere Auswahl wollen wir dann mit den Eisenerzern realisieren: in Form von Spatenstichen, mit denen wir das bestehende Ortsbild umgraben.

Zurücklassen werden wir dabei nur Bautafeln, aus denen hervorgeht, was hier gebaut werden soll(te) – mit den üblichen Bilddarstellungen der imaginären Objekte, die sowohl professionell als auch von Kinderhand ausgeführt worden sein können. Die Spatenstiche werden in der ersten Halbzeit vor Ort stattfinden, in der zweiten Halbzeit vor Ort wird es zusätzliche Führungen durch den Eisenerzer Zukunftsweg geben.

So, glauben wir, kann eine Landkarte der Wünsche und Träume der Eisenerzer entstehen , die sich frei vom Einfluss und den Gestaltungsprinzipien der Öffentlichkeit, wie wir sie kennen, entfalten kann.

monochrom: wir lassen Konzepte verrecken, seit 1993