"Die wunderbare Welt der Abwesenheit" dokumentiert die von monochrom betriebene Sammlung so genannter "Zeigerpointer".
Bis zur Entstehung eines offiziellen Begriffs für das Medienphänomen des "Zeigerpointers" bezeichnet dieser Platzhalter eine weit verbreitete printmediale Repräsentationsweise, die bislang als spezifische Form weder wahrgenommen noch bestimmt wurde. Mit der Sammlung (www.monochrom.at/zeigerpointer) und der Bilderserie Zeigerpointer möchte monochrom dazu beitragen, den "Zeigerpointer" als eigene repräsentationsästhetische Gattung zu untersuchen.
Unter einem "Zeigerpointer" verstehen wir Abbildungen (im Rahmen printmedialer Berichterstattung) von Tat- und Unfallorten, Unglücksstellen sowie anderen Ereignisstätten, bei denen es nichts zu sehen gibt, weil das berichtete Geschehen bereits vorüber ist, keine sichtbaren Spuren hinterlassen hat oder diese im Zuge der Wiedereinsetzung des Status Quo bereits vollständig beseitigt wurden. Weil in diesen Fällen nichts fotografiert werden kann, bitten FotoreporterInnen in der Regel bestimmte Personen – AugenzeugInnen, Betroffene oder administrativ Zuständige –, auf jenen Ort, an dem "es" passiert ist, zu deuten.
"Zeigerpointer" lassen sich anhand einiger zu erfüllender Kriterien eindeutig bestimmen und von anderen Bildern, auf denen Menschen auf etwas zeigen, abgrenzen: Das bereits vergangene Geschehene darf in keiner anderen Form sichtbar sein, als durch den Akt des deutenden Verweisens auf jene Stelle, an der "es" stattfand.
In Form von Zeitungsausschnitten (die nach Möglichkeit auch die dazugehörige Bildunterschrift enthalten sollen) sammelt monochrom seit mehreren Jahren solche Bilder, zunächst aus österreichischen Printmedien, später kamen auch internationale Exponate hinzu. Sie werden auf unserer Website (nach eingehender Prüfung) veröffentlicht, und in Form von Emailaussendungen und durch Mundpropaganda fordern wir regelmäßig dazu auf, uns entsprechende Fundstücke zukommen zu lassen.
Mit dem Projekt "Die wunderbare Welt der Abwesenheit" möchte monochrom nun die Ergebnisse dieser medienkulturarchäologischen Tätigkeit erstmals und im Rahmen eines Medienwechsels der Öffentlichkeit zugänglich machen – und zwar in Form einer Ausstellung. Gezeigt werden dabei ausgewählte Beispiele, die in Öl gemalt werden.
Der "Zeigerpointer" begegnet uns besonders häufig in jenen Magazinen und Heften, die an den semiurbanen und ländlichen Rändern der österreichischen Medienlandschaft kostenlos ausliegen, den Lokalmedien, Mitteilungsblättern und Briefkastenwurfsendungen, die ortspezifisches Geschehen berichten. Aber er findet sich auch in jener überregionalisierten Form, in der das provinzielle Österreich als landesweites, auflagenstarkes Boulevardblatt wiederkehrt und die Alltagswahrnehmung weiter Teile der Gesellschaft grundiert, prägt und strukturiert.
Entsprechend variieren Bild- und Druckqualität (Bild 8). Tendenziell weisen die meisten Zeigerpointer aber eine eher schlechte Bildqualität auf, die in der Ölmalweise einen eigenen ästhetischen Reiz entfaltet, wie ihn sich bereits die fotorealistische Malerei der 1970er Jahre zunutze gemacht hat.
Die oft niedrige Bildqualität schließt nicht zur Ästhetik so genannter Hochglanzmagazine auf, sondern gibt das Billige und Schlechtgemachte wieder, das charakteristisch ist für große Teile der österreichischen Printmedienlandschaft.
Sie enthält so bereits in präziser Form den besonderen Gebrauchs- oder Warencharakter dieser Bilder. Zum Teil folgen sie der Bildabsicht, authentisch wirkende Eindrücke zu erzeugen. Sie tun dies, um eine Geschehnisnähe und -unmittelbarkeit zu beschwören, von deren Nichtmehrvorliegen sie andererseits handeln. Das Ereignis ist unwiderruflich vergangen, und das Zeigen darauf versucht hilflos, eine der ältesten kulturhistorischen Beglaubigungsverfahren zu reaktivieren: das Zeigen, wenn auch ohne rechten Erfolg. Etwas Gezeigtes stellt sich dort nicht ein, wohin die Finger und Hände der abgebildeten Personen weisen.
Vermutlich um diesen Mangel zu kompensieren, erwecken "Zeigerpointer" gerne den Anschein liebloser und ungeschulter Schnappschüsse, obwohl es sich in den meisten Fällen doch um mit Bedacht arrangierte Bildereignisse handelt, die von professionellen FotografInnen in Szene gesetzt wurden. Dies zeigt sich in der oft gestellt wirkenden Weise, in der auf die entsprechenden Stellen gewiesen wird (Bild 10).
Die abgebildeten Personen erscheinen oft verhuscht und sie stehen in unvorteilhaften Posen in einem Bild, das den Eindruck von Unkomponiertheit durch das dilettantische und hastige Arrangement des Kontingenten erwecken möchte. Sie sind weder geschminkt noch anderweitig medial hergerichtet, sondern akzentuieren das Nichtalltägliche der Ereignisse gerade indem sie als reizlose Alltagsmenschen auf reizlose Stellen in einer reizlosen Lebenswelt hindeuten, an denen es eigentlich nichts zu sehen gibt, wo aber kurz zuvor der Vollzug der alltäglichen Gleichform für einen ereignishaften Moment unterbrochen wurde.
In der spezifischen, meist recht lieblosen Form des "Zeigerpointers" hat sich die besondere Gehetztheit und Schnelllebigkeit bestimmter Medien und ihrer Ereignishorizonte eingeschrieben.
"Die wunderbare Welt der Abwesenheit" möchte mediales Alltagsgeschehen aus jener Beiläufigkeit und reinen Gebrauchsform heben, mit der es uns beim Durchblättern von Zeitungen und Zeitschriften begegnet, kurz berührt oder amüsiert, um wieder vom unaufhaltsamen Informationsstrom davon gespült zu werden, der auf der sprichwörtlich gewordenen Annahme basiert, dass nichts so alt sei, wie die Nachrichten von gestern.
Aus dem atemlosen Redeschwall, dem "Sprechdurchfall" der Medien möchten wir jenes Einzelbild isolieren, das den Film der Information konstituiert, ohne als solches – als Bild, d.h. als bewusst inszeniertes informationsästhetisches Ereignis – noch wahrgenommen und be- oder hinterfragt werden zu können.
Als isoliertes und für sich, in und an sich betrachtbares Bildereignis möchten wir es still stellen und im Medienwechsel zum künstlerisch gestalteten Artefakt umformen, um es (kritisch) zu betrachten, (ästhetisch) zu genießen und (repräsentationsstrategisch) zu kontextualisieren.
Dabei interessieren uns vor allem die Geschichten hinter den im Bild erzählten Geschichten und jene Normalität, die vom Ereignis (als konkreter Darstellungsanlass) unterbrochen wurde, die dieses Ereignis zum Zeitpunkt der Abbildung aber längst wieder verschlungen und überwuchert hat.
In den Blick genommen werden die besondere Ästhetik der "Zeigerpointer" und ihre diskursiven Implikationen, die die Isolation und der Medienwechsel hervortreiben sollen.
In den bisher gesammelten Artefakten ist in einer mehrschichtigen bzw. -stufigen Form das gesamte Repertoire gesellschaftlicher Beziehungen und Affekte enthalten, die Drastik (z.B. Bild 10) und Tragik (Bild 5), die mit dem Banalen (Bild 1) und Allzumenschlichen zusammenprallt, die Aggression und Gewalt (Bild 8), die die österreichische Gesellschaft nur unzureichend zu sublimieren vermag, die sozialen Verwerfungen, die durch die lapidare Form der Berichterstattung durchscheinen oder bereits ganz unverblümt zur Sprache kommen. Diese Verwerfungen exemplifizieren dabei den medialen Shift von den Ursachen auf das, was davon sicht- und zeigbar ist (Bild 7). Der Stolz und die Freude, die sich ganz offensichtlich in den Gesichtern einiger Zeigender angesichts ihres medial erfassten Dabeigewesenseins ausdrückt (Bild 8), erzählt wiederum vom Verhältnis der ÖsterreicherInnen zu "ihren" Medien. Auch der alltäglich gewordene unterschwellige Rassismus, der ethnische Zugehörigkeit als selbstverständlichen Bestandteil einer Nachricht behandelt und dem Formulierungen wie "der Serbe" (Bild 4) scheinbar problemlos über die Lippen kommen, ist konstitutiver Bestandteil zahlreicher "Zeigerpointer".
"Zeigerpointer" kommen in der Regel dort zum Einsatz, wo die Orte, an denen Dinge geschehen sind, selbst nicht für bildwürdig erachtet werden, eben weil es sich nicht um allseits bekannte Objekte mit eigener Bildtradition handelt (etwa kulturhistorische Bauwerke oder repräsentative Orte des Politischen).
Die Abgebildeten deuten aber nicht nur auf Unglücksstellen oder Tatorte, sie deuten zugleich auch auf das mediale Prinzip der Repräsentation selbst. Wo es nichts (mehr) zu sehen gibt, muss – im Akt des Zeigens – ein Platzhalter und medialer Behelf eingeführt werden, um die Sichtbarkeit und Anschaulichkeit, die das mediale Geschehen als formaler Zwang und ideologische Struktur internalisiert hat, auch angesichts des Unzeigbaren bestätigen.
"Zeigerpointer" repräsentieren also nicht Ereignisse allein, sondern jenen Repräsentationszwang einer Medienlandschaft, die beinahe ausschließlich auf die selbsterklärende Suggestivkraft von Bild und Bildunterschrift abstellt und deren konkurrierende Informationswaren auf schnelle Fasslichkeit und kompakte, bruchlose Veranschaulichung angewiesen sind.
Ja, der Repräsentationszwang wird gewissermaßen parodiert. Fast scheint es, als wollten "Zeigerpointer" die Banalität des medialen Bildes überaffirmieren: in der Abbildung der Banalität jener Leerstellen, wo nichts mehr ist. Zeigerpointer repräsentieren also in einem dreifältigen Sinne: Sie repräsentieren Ereignisse gerade in der Form ihrer Unrepräsentierbarkeit, sie repräsentieren den informationsgesellschaftlichen Repräsentationszwang und sie repräsentieren jene Spur der Banalisierung, die das Prinzip der (medialen) Repräsentation (auch als Zurichtung von Inhalten, die zur Information zurechtgestutzt werden müssen) durch eine Welt der Schicksale und folgenreiche Ereignisse, der gesellschaftlichen Konflikte und unbewältigten Aggressionen zieht. Durch die oft grotesk und gestümmelt wirkenden Bildunterschriften wird das Tragische wie das Banale ins Absurd-Poetische gehoben. Und fast spricht aus den Bildunterschriften das Erhabene in einer kontrafaktischen Form.
Die Zeigerpointer lassen sich nämlich auch als sprachlich-bildliche Verknappungsformen des Schrecklichen lesen, als komprimierte Mikrodramen, die bei den BetrachterInnen der Ausstellung gerade dadurch Spannung erzeugen, dass wesentliche Kontextinformation fehlen, die ursprünglich erhalten oder rekonstruierbar waren, aber bereits in ihrem Herkunftskontext in der kursorischen Überflugslektüre eher selten mit rezipiert werden. Diese Mikrodramen sind verdichtete und geballte Versionen von Ereignissen, die vor allem in ihrer Verrätselung und Verstiegenheit österreichische Realität und Alltagsnormalität abbilden.
Die Poesie der Präsentation des Nichtpräsenten rückt Momente, Situationen und "Stellen" ins Blickfeld, die sonst kaum bildwürdig gewesen wären, Stellen, deren Normalität und beiläufige Funktionalität (die Zäune und Straßenrandstreifen, die Böschungen und Gehwegplatten etc.) sich sonst vor unseren Blicken verbirgt. Gerade ihre anderweitige Reizlosigkeit macht den spezifischen Reiz aus. In ihnen wird auf das gedeutet, was sich hinter den kulturell oder touristisch lancierten österreichischen Selbstbildern verbirgt und das so sichtbar ist, dass es sich dem auswählenden Blick entzieht.
Die gezeigte Gleichform, das angestrahlte Nichts, die nur momentkurz unterbrochene Ereignisfreiheit – all das sind geläufige Konstitutionsmomente der hiesigen Alltagskultur, wo das Schreckliche im Unscheinbaren gedeiht und nur als in seine Umgebungsumwelt mimikriertes Unscheinbares eingefangen werden kann. Die Zeigepointer deuten ebenso auf die Vergänglichkeit des Tragischen wie auf die Tragik des Vergänglichen. Sie sind der vielleicht schönste Nebenkriegsschauplatz im menschlichen Kampf gegen das Nichts.
Abbildungsverzeichnis der Ölgemälde
Bild 1: "Am Alleeweg hat »Ombudsmann« Viktor Zenz die Beleuchtungsprobleme gelöst. Jetzt will ihm die Gössendorfer FP das Licht abdrehen"
Bild 2: "Christian Karl an der Stelle, wo er die beiden Frauen geborgen hat"
Bild 3: "Martin Sticher vor dem Nachbarhaus: »Drinnen ist alles voller Müll"
Bild 4: "Die Unglücksstelle: Hier blieb der Serbe am Wildzaun hängen"
Bild 5: "An dieser Stelle wurde der vermisste Korporal laut Polizei von der Strömung unter Verklausungen und Treibholz gezogen"
Bild 6: "Mathilde Weimann zeigt die Stelle, wo der Tresor stand und jetzt ein Loch klafft"
Bild 7: "Diese Tonne nutzte der Obdachlose als Schlafplatz"
Bild 8: "Dramatische Szenen auf einem Spielplatz in Hallein (Salzburg): Zwei junge Männer feuerten auf 15 Kinder. Alexander (12) zeigt den Balkon, woher die Schüsse kamen. Polizist Josef Walcher stellte die Waffe sicher"
Bild 9: "Ingrid Zingrosch, Geschäftsführerin im Hotel Kummer: »Wir sind ein erstklassiges Haus. Die Punks, die hier immer unter diesem Baum herumlungern machen Ärger und belästigen unsere Gäste. Wenn wir uns beschweren, terrorisieren sie uns. Sie suchen sogar an, hier legale Demos mit lauter Musik abhalten zu dürfen.."
Bild 10: "Bahnhofs-Trafikantin Andrea Fröschl (31) am Unglücksort: »Der Mann brannte lichterloh und wälzte sich schreiend am Boden"
Bild 11: "Augenzeuge Mario M. zeigt die Stelle, wo sein Freund vom Alfa erfasst wurde"
Bild 12: "Ein Schüler zeigt die Stelle, wo der Knallkörper explodierte"