Junge Welt rezensiert monochrom #26-34: ‘Ungefähr alles außer Musik – Collage der Gegenkultur’

Als im Punk vor langer Zeit die ersten Fanzines entstanden – in Windeseile zusammengeschusterte, kleinauflagige Undergroundhefte mit Nachrichten aus der Szene für die Szene–, waren dies schnelle Medien für eine schnelle Subkultur. Weil sie sich auf nichts einließen, garantierten sie maximale Autonomie. Ihr Erscheinungsbild zeigte ihre Unabhängigkeit von bürgerlichen Seh- und Lesegewohnheiten stolz vor. 1980 war dies ein (medien-)politisches Statement.

Fanzines gibt es heute immer noch. Aber die meisten von ihnen haben den unwiderstehlichen Glanz der Subversion verloren. Einige sind Kioskhefte geworden und haben sich im Überlebenskampf um Anzeigen und Aufmerksamkeit journalistischen Strukturzwängen unterworfen. Andere bleiben kleinlaut im Untergrund, scheinen aber nicht zu wissen, was sie mit Untergrund anfangen sollen. Statt mit medialen Konventionen zu brechen, sind sie selbst konventionell, nämlich berechenbar, geworden. Sie sehen aus, wie solche Hefte eben aussehen. Und es steht ungefähr das drin, wovon wir annehmen, daß es dort stehen wird.

Dies nur, um die komplette Unwahrscheinlichkeit des Wiener Fanzines monochrom zu illustrieren. Monochrom erscheint unregelmäßig seit 1993, das heißt, alle paar Jahre einmal. Der Umfang schwillt dabei kontinuierlich an, was zum Kosenamen »Telefonbuchzine« geführt hat. Die allerneueste Nummer ist erstmals komplett Englisch, nachdem sich monochrom schon lange in eine international operierende Kunstgruppe verwandelt hat. Zusätzlich zum Heft werden regelmäßig Musicals, Filme, Performances, Musik, Theaterstücke, Festivals (wie die alljährlich in San Francisco stattfindende arse elektronika), Bücher und eine kaum zu überschauende Website (www.monochrom.at) produziert – sowie anderes krudes Zeug, das sich jeglicher Rubrizierung entzieht.

Seit 2003, da erschien die letzte Ausgabe, ist also viel aufgelaufen. Und so wiegt die aktuelle fast zwei Kilo und hat viele hundert Seiten, die selbst kleine Kunstwerke sind. Auf ihnen erfindet sich das klassische Schnipsel-Layout der frühen Punkfanzines noch mal neu, als überschießende Collage, in der sich eine komplette Gegenkultur entfaltet: Linke Theorie, Do-It-Yourself-Technologie, Nerd-Wissen, Cultural Studies, Gender, Politik, Netzkultur, digitale Lebensaspekte und lustiger Quatsch. Einen derartigen Horizont hat es in der deutschsprachigen Fanzinekultur bisher nicht gegeben, vielleicht abgesehen von Dieter Roths Zeitschrift für alles.

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