Die schreckliche Wahrheit: monochroms Frank Apunkt Schneider bleibt dran

Natürlich ist Wahrheit schrecklich. Sie macht dumm, wie die beweisen,
die eine haben. Und sie gehört denen, die Macht ausüben wollen. Die sie
brauchen, um ihre Interessen durchsetzen. Den Religionen und
Ideologien. Wahrheit ist schließlich Glaubenssache. Die Wahrheit ist ein
Mythos. Und Glauben heißt bekanntlich: nicht reflektieren. Deswegen
sind die, die eine Wahrheit haben, so unerträglich. Und immer ein
kleines bisschen wie die Taliban.

Es war eine große Befreiung, als in den Neunziger Jahren bestimmte
Theorien erklärten, dass das, was als Wahrheit angeboten wird, nur eine
soziale Übereinkunft ist. Eine Konstruktion, auf die sich eben alle
geeinigt haben. Wahr wird sie erst, indem wir daran glauben. Und
natürlich an die Existenz einer Wahrheit, die sich dann mit den Wahrheiten füllen lässt, an denen irgendwer gerade Interesse hat.

Von diesem Standpunkt aus konnte alles zerlegt werden: der gesunde
Menschenverstand, Wissenschaft, Natur und Geschichte. Was kurz zuvor
noch Wahrheit war, an die aus Gewohnheit selbst wir Linke glaubten,
wurde zur Ideologie erklärt. Dekonstruktion nannten wir das damals. Was
soviel bedeutete, wie Aussagen nicht darauf zu überprüfen, inwieweit sie
wahr waren, sondern danach zu fragen, wem sie nutzten. Wahrheit war ein
Herrschaftsinstrument, das entmachtet werden musste. Und am besten ging
das durch Relativierung.

Seither ist viel passiert. Die Verhältnisse wurden in dem Maße
ernster, indem sie sich verspielter gaben. Die herrschende Klasse nimmt
sich seit Rotgrün längst nicht mehr so ernst, wie sie es in Wirklichkeit
nun mal ist. Und die FDP, die bitteren Ernst für alle fordert, die
nicht sowieso schon auf der Sonnenseite leben, nannte sich vorübergehend
sogar “Spaßpartei”. Selbst der deutsche Nationalismus, einst Inbegriff
von tödlichem Ernst, wollte jetzt locker sein, was ihn zwar noch
verkrampfter aussehen ließ. Nur fiel das niemandem mehr auf.

Alles war plötzlich relativ. Der Iran konnte unter dem Deckmantel der
Relativität Menschen foltern und ermodern. Und sogar mein Vermieter
behauptete irgendwann, er hätte nie gesagt, dass der Schimmel im Bad
beseitigt würde. Ich hätte das eben nur so gehört. Damit hatten wir
nicht gerechnet: Die, die früher die Wahrheit gepachtet hatten,
pachteten nun die Relativierung. Hauptsache, sie nutzte ihnen.

Damit wurden wir gezwungen, uns doch die eine Wahrheit auf die Fahnen
zu schreiben: Das was ist, ist das Falsche. Eine infame Lüge. Auch wenn
die gar nicht mehr beanspruchte, keine zu sein.

Die Wirklichkeit hat uns also ihre Wahrheit aufgezwungen: Dass sie
eine Zumutung ist, die wir nicht hinnehmen können. Eben weil sie
unerträglich ist. Das ist natürlich banal. Nur ist es leider eben auch
wahr.

Wahrheit einfach nur abzuschaffen, hat leider nicht gereicht. Wir brauchen zumindest eine strategische
Wahrheit. Die macht natürlich, wie alle Wahrheit, unfrei. Denn wir
müssen ja trotzdem daran glauben, damit sie funktioniert. Aber wir
brauchen sie, um gegen die Wirklichkeit zu sein, der aktuell leider nur
auf diese Weise beizukommen ist. Nur, wenn wir diese Wirklichkeit
loswerden, werden wir vielleicht auch die Wahrheit wieder los. Und
können uns endlich selbst befreien: von der Wahrheit und von der
Wirklichkeit.

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