To protect and to protest: Grenzfurthner stellt ein paar Fragen

Robert Glashüttner von FM4 berichtet über die Eröffnungsgala des Elevate-Festivals, das unser Johannes Grenzfurthner moderiert hat.

“Diese Diskussion ist eigentlich sehr christlich”,
sage ich nach der Eröffnung des Elevate 2010-Diskursprogramms zu
Bühnen-Host Johannes Grenzfurthner. Passenderweise ist zu diesem
Zeitpunkt auch gerade Paradesünder und Sündenbüßer Fritz Ostermayer auf
der Bühne des Grazer Dom im Berg. Es ist ein kleiner Heureka-Moment, der
nicht nur mein eigenes Unwohlsein in Bezug auf nachhaltiges Leben,
Umweltschutz und soziale Verantwortung humorvoll auf den Punkt bringt.
Im Grund kommt man aus den Widersprüchen, dem Schönreden und der
Ahnungslosigkeit nicht heraus. Je intensiver die Beschäftigung, desto
größer die Ratlosigkeit – so scheint es zumindest oft.

Begonnen
hat alles damit, dass Herr Grenzfurthner sehr mutige, grundlegende
Fragen gestellt hat. Ans Publikum, vornehmlich aber an die per
Videotelefonie zugeschaltenen Gäste: Umweltschutzexperte Bill McKibben aus den USA und Menschenrechtsaktivist Nnimmo Bassey aus Nigeria. Es waren Fragen wie: Sind Facebook und Twitter tatsächlich
ernstzunehmende Tools zur Umsetzung globaler Probleme? Nützt der
“Gefällt mir”-Button bei seriösen Projekten irgendjemandem oder für
irgendetwas oder dient er nur dazu, sich selbst ein paar Stunden lang
vorzuschwindeln, dass man an der Rettung der Welt aktiv Anteil nimmt?

Technologie,
so Grenzfurthner, hat noch nie und werde auch in Zukunft keine soziale
Revolution einläuten. Stimmt, sagt Bill McKibben: Web 2.0-Anwendungen
seien gute Tools für organisatorische Vorbereitungen und
Öffentlichkeitsarbeit, doch sie ersetzen nicht den Gang auf die Straße,
das Treffen von Menschen, der Druck auf Politik und Wirtschaft.

“Ich
weiß, dass die Produktion meines iPhones in China Menschen aufgrund
schlechter Arbeitsbedingungen mitunter in den Suizid führt – und
trotzdem habe ich eines.”
, führt Grenzfurthner die Buße fort. Ist
der Besitz eines Smartphones verwerflich? Ist die Tatsache des
Bewusstseins dieser Widersprüche und Ungerechtigkeiten zynisch? Würde
ein Verzicht auf diese Produkte bzw. eine Wahl von “grünen”
Alternativprodukten etwas ändern oder verbessern? – Auch die per
Internet zugeschaltenen Experten wissen darauf keine wirklichen
Antworten. Aber: Gute Fragen. Wo soll das eigene sozialpolitische
Engagement sinnvollerweise anfangen? Was tun gegen dieses ewige
Ohnmachtsgefühl? Wann weiß ich, ob ich mir und meinen Mitmenschen nicht
bloß etwas vorspiele, das in Wahrheit am Status Quo nichts ändert? Wo
hört das Beruhigen des schlechten Gewissens auf und fängt Altruismus und
der Wunsch nach wirklicher Veränderung an? Bin ich böse, wenn ich
aufgrund der Schwere dieser Fragen kapituliere und einfach mein Leben
lebe?

Eng
verwoben mit den Problemen unserer Welt sind die Kunst und ihre
dramaturgischen Kniffe, auf diese Probleme aufmerksam zu machen.
Provokationen aus der Zeit der Wiener Aktionisten funktionieren kaum
noch. Gut gemeinte Grenzüberschreitungen der Kunst lassen in Wahrheit
die Kluft zwischen Intellektuellen mit Fähigkeit zur Abstraktion und der
sogenannten Arbeiterklasse, die Dinge oft so wahrnimmt, wie sie
erscheinen, bloß größer werden anstatt Brücken zu bauen.


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